Hong Sangsoo. Das lächerliche Ernste von Sulgi Lie

VORWORT

Die außergewöhnliche Produktivität des südkoreanischen Regisseurs Hong Sangsoo manifestiert sich in 28 Filmen und drei Kurzfilmen in 26 Jahren*. Jeder der Filme ist dabei wie ein Baustein von einem Gebäude, in dem man sich in einem Taumel aus Differenzen & Wiederholungen (und Reduktionen & Multiplikationen) alsbald verliert (und wieder findet). 1960 als Sohn einer Filmproduzentin geboren, studierte Hong Film in Seoul und den USA. Auf dem Rückweg nach Südkorea widmete er sich einer regelrechten Filmorgie in der Pariser Cinémathèque und drehte dann nach einigen Arbeiten für das Fernsehen 1996 seinen ersten Kinospielfilm. Sein Stil ist absolut unverwechselbar, seine Filmsprache folgt ihrer eigenen Grammatik: eine Geschichte, die sich ausgehend von einem Ereignis, über das wenig bis gar nichts bekannt ist, entfaltet; eine Betonung der weiblichen Perspektive sowie der Unzulänglichkeit, Feigheit und/oder Grausamkeit der Männer; Besäufnisse, die Wahrheiten enthüllen; statische Einstellungen von sprechenden Menschen; langsame Zooms auf die Figuren in Schlüsselmomenten von langen Plansequenzen; und sehr oft eine Zäsur, mit der eine Spiegelung/Variation der Geschichte einsetzt. Nach einigen experimentellen Versuchen hatte sich Hong unter dem Einfluss von Robert Bressons Journal d’un curé de campagne (Tagebuch eines Landpfarrers, 1950) für das Erzählkino entschieden. Jahrelang trägt er Bressons Buch Notizen zum Kinematographen als Vademecum bei sich, in dem man eine Art Manifest für Hongs Filme lesen mag: „Ein kleines Sujet kann Vorwand sein für vielfältige und tiefe Kombinationen. Meide die zu weiten oder zu entfernten Sujets, wo nichts dich warnt, wenn du dich verirrst. Oder aber nimm davon nur, was in dein Leben vermengt sein könnte und aus deiner Erfahrung kommt.“ Denn sowohl Hongs Protagonist*innen (Regisseur*innen, Schriftstel- ler*innen, Schauspieler*innen, Uni-Professoren, Filmstudent*innen) als auch die Schauplätze (Seoul und andere koreanische Städte, Paris, wo er gelebt hat, Cannes und Berlin, wo er oft mit seinen Filmen bei den Festivals zu Gast ist) sind ihm nah. In ihrer angenehmen und fesselnden Weise wirken seine Filme absichtlich eher leichtgewichtig. Hong vermeidet Selbstgefälligkeiten und auffällige Ambitionen, er baut lieber filigrane Strukturen aus scheinbar beiläufigen, spielerischen und sardonischen Beobachtungen, um Banalitäten entwirft er eine Choreografie des Alltags in all seinen Unwägbarkeiten. Hongs Filme könnten auch als Studien der Idiotie gesehen werden oder, wie Sulgi Lie schreibt, des „lächerlichen Ernstes.“

Pierre-Emmanuel Finzi
* Als dieses Buch Ende Oktober 2022 in den Druck ging.

P R E S S E S P I E G E L

"Die vielen Intellektuellen in Hong Sang-soos Filmen, schreibt Sulgi Lie, wirkten immer leicht minderbemittelt. Da sie nie bei der Arbeit zu sehen seien, sondern nur beim ziellosen Rumhängen, erfahre man nie, ob sie zu sprachlicher Eloquenz überhaupt fähig seien. Das Gegenteil lässt sich über den Berliner Filmwissenschaftler Lie sagen: Seine kleine Studie über Hongs umfangreiches, bislang 28 Filme zählendes Werk zeugt von Eloquenz und dazu noch von Witz und Umsicht. Mit einer allgemeineren Einführung in das Kino des koreanischen Regisseurs anhand der Alkoholika, die so viel und begeistert in seinen Filmen konsumiert werden, beginnt der schmale Band. Vier Kapitel zu den Filmen, die er seit 2015 gedreht hat, als er mit »Right Now, Wrong Then« den Goldenen Leoparden von Locarno gewann und eine neue Aufmerksamkeitsgrenze überschritt, schließen sich an. Das Buch macht wie die Filme von Hong desto mehr Spaß, je mehr man von seinen Filmen kennt: Die kontinuierliche Arbeit an der eigenen Motivik, von Lie mit »Männer, Frauen, Alkohol« vorläufig, aber dennoch treffend auf den Punkt gebracht, macht den Reiz von Hongs Werk aus. Wie dieser ideosynkratische Ansatz trotzdem auf mehr als nur sich selbst verweist, was Hongs Filme mit denen von Rohmer, Buñuel und Renoir gemeinsam haben, legt Lie mit kenntisreicher Klarheit dar."  Hannah Pilarczyk, Der Spiegel

"In seinem Buch HONG SANGSOO. DAS LÄCHERLICHE ERNSTE, das zeitgleich zum Kinostart erscheint, macht der Berliner Filmwissenschaftler Sulgi Lie in Hongs Werk einen gedoppelten Affekt aus, den er als „das lächerliche Ernste“ bezeichnet. Der feine, vom Wiener Verlag Le Studio Film und Bühne herausgegebene Band ist die erste deutschsprachige Publikation zu Hong und ein Close Reading seines Werks mit dem Instrumentarium von Filmgeschichte, Theorie und Popkultur. Referenzen zu Rohmer, Buñuel und Renoir werden ebenso herangezogen wie die Lacan’sche Psychoanalyse und die Pet Shop Boys. Ausgiebig widmet sich der Autor dem Verhältnis von Alkohol und Sprache beziehungsweise deren Inszenierung. Nach Lie speist sich das Bedürfnis zum Trinken „aus einem epistemologischen Zweifel an der transparenten Kausalverbindung von Sprache und Psyche, von Worten und Gefühlen, von Laut und Bedeutung, deren endgültiges Auseinanderbrechen der Alkohol für einen kurzen Moment verhindern soll.“ Esther Buss, Tagesspiegel

"Zugleich fügt es sich, dass eine schöne kleine, sehr kundige Studie von Sulgi Lie zu Hongs Filmen heraus­ge­kommen ist: Hong Sangsoo: Das lächer­liche Ernste, publi­ziert bei der Edition Le Studio in Wien. Der Titel dieser Studie bezeichnet, was im Zentrum der Geschichten steht, die Hong erzählt. Immer geht es um die Mühen beim Kommu­ni­zieren, in die sich die Menschen bei Hong verstri­cken: unan­ge­nehme zufällige Begeg­nungen führen zu pein­li­chen Situa­tionen und lächer­li­chen Auftritten. Die Figuren kommen meist aus Kunst und Kultur, wobei die Konstel­la­tionen Hier­ar­chien abbilden, die zusätz­liche Befan­gen­heiten und Abhän­gig­keiten mit sich bringen: Lehrer und Studie­rende, Regisseur und Schau­pieler, Meister und Bewun­derer, Autoren, Gale­risten, Kuratoren, Festi­val­leiter, Künstler und Kritiker… Das alles wechselnd besetzt von männ­li­chen und weib­li­chen Prot­ago­nist*innen. Spannend wird es natürlich immer dann, wenn diese Bezie­hungen zu denen von Liebes­paaren werden und die hier­ar­chi­schen Unter­schiede sich brechen und auf über­ra­schende Weise umkehren."   Wolfgang Lasinger, artechock

"Sulgi Lies gut lesbare Studie, die auch auf die Unterschiede zu von Hong Sang-soo geschätzten Filmemachern wie Bres- son, Rohmer und Buñuel eingeht, ist eine gelungene Einführung." Frank Arnold, FilmDienst

"«Er kann nicht bloss gehen, sondern er kann gehend kommen», so heisst es über den Possenschauspieler Beckmann bei Søren Kierkegaard. Zumindest in der Übersetzung, die Theodor W. Adorno vorlag, als er seinen kurzen Essay über Charlie Chaplin schrieb, an dessen Anfang er diese Formel stellte. Emblematisch ist sie bei Adorno dann für Chaplins ganzes Komiker-sein. Für den Filmtheoretiker Sulgi Lie führt diese enigmatische Beschreibung ins Zentrum von Adornos Ästhetik. Er hat die Formel und die auf sie folgende Miniatur Adornos durchdekliniert und gleichsam erschöpfend ausgelegt, in einem grossen Buch, das Adorno als Film- und vor allem als Komiktheoretiker aus diesem Text und auch kleineren musiktheoretischen Schriften noch einmal ganz neu profiliert.
Auch wenn Lie in seiner Studie plausiblerweise bei Adornos engem Kanon bleibt (Chaplin, Marx Brothers): «Gehend kommen›»oder, mit Sulgi Lie, gehend kommend stehen, diese komische Paradoxie des Bewegens und Auf-der-Stelle-Tretens, das hat für mich auch immer die eigensinnige Komik (und Tragik) der Filme des koreanischen Regisseurs Hong Sangsoo auf eine Formel gebracht. Gut also, dass kürzlich zu Hong zwei kleine Bücher erschienen sind – und eins davon auch von Sulgi Lie (HongSangsoo. Das lächerliche Ernste). Hongs Filme – inzwischen, mit dem kürzlich in deutschen Kinos gelaufenen Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall, sind es 27 (ohne Kurzfilme) – kreisen um Alltäglichstes und gleichzeitig Verwickeltes: Begegnungen, Anbahnungen, (männliche) Erbärmlichkeit, Kränkungen, Missverständnisse, Kunst und Banalität, Kunstbanalität. Um Dynamiken von Ankünften und Abgängen, Auftritten und Fehltritten.

Hong ist durch seine Produktivität, sein enges Filmuniversum, seine immer ähnlichen Figuren, Motive, Strukturen ein paradigmatischer Auteur, und deshalb ist es auch kein Wunder, dass Texte, Bücher über ihn kaum anders können, als autorentheoretisch zu werden, auch wenn es Hongs Filme ausmacht, das genauso der Lächerlichkeit preiszugeben wie alles Andere auch. Dennis Lims kleine Studie Tale of Cinema, kreist auch lange um die Frage, was das sein könnte, der Hong-Film, seine Regeln, seine Essenz, um aber auch immer wieder zu verdeutlichen, dass das ein müssiges Unterfangen ist. Lims und Lies Bücher lassen sich vielleicht von unterschiedlichen Enden lesen: Lims erst für Hong-Einsteigende, Lies zum theoretischen deep dive. Lim mäandernd aus allen Filmen um einen zentralen (Tale of Cinema), Lie fast chronologisch. Aber auch wenn ihre Beschreibungsenergien und Theorieinvestitionen divergieren: Lim & Lie treffen sich nicht selten, das bleibt in Hongs Bars und Parks und Kinos, an seinen Stränden und Strassen nicht aus. Nicht zuletzt begegnen sie sich dort, wo sie den eigentümlichen Rhythmus des Werks, die innere Mechanik zu fassen versuchen, die Wiederholungsstrukturen, die Hongs Arbeiten heimsuchen. Sulgi Lies Büchlein, das mit einer kurzen Taxonomie der bei Hong beständig konsumierten Alkoholika beginnt, überführt diese inneren Wiederholungs- als Vergessenszwänge in eine veritable Poetik des Filmrisses. Auch das ist zentral für die Filme Hongs und für die Erfahrung ihres Sehens: Irgendwie verlässt man sie nie. Rausgehend gerät, gehend kommt, man schon wieder in den nächsten. [Daniel Eschkötter - Filmbulletin]

D I R E K T   B E S T E L L U N G E N

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ISBN 978-3-9505312-0-6
96 Seiten

Erste Auflage
30. Oktober 2022

E R H Ä L T L I C H  I N  F O L G E N D E N   B U C H H A N D L U N G E N
WIEN: Satyr Buchhandlung - Metro Kinokulturhaus, Österreichisches Filmmuseum, Orlando, Hartlieb 1090, Oechsli Buch&Papier, phil, Walter König Buchhandlung im Museumsquartier
MÜNCHEN: Filmmuseum München
BERLIN: Bücherbogen am Savigny Platz, b_books (Lübbenerstr. 14 sowie während der Berlinale 16.-26.2. im UG des Filmhauses am Potsdamer Platz)

S U L G I   L I E

Sulgi Lie ist Filmwissenschaftler und Theoretiker. Er ist Gastprofessor am Institut für Kunstwissenschaft und Ästhetik an der Universität der Künste Berlin. Er ist Autor von „Gehend Kommen. Adornos Slapstick: Charlie Chaplin & The Marx Brothers“ (Berlin 2022) und „Towards a Political Aesthetics of Cinema: The Outside of Film“ (Amsterdam 2020). Momentan arbeitet er an einer Studie zum Verhältnis von Technik und Körper in der Filmkomödie.

Kim Minhee & Hong Sangsoo, Wien 01.11.2022 (Viennale Premiere von Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall)

L E S E T O U R

Di. 8.     November 2022 19 Uhr im Lichtblick Kino, Berlin
Mi. 9.    November 2022 19 Uhr im Moviemento Kino, Linz
Do. 10. November 2022 18 Uhr im KIZ Royal Kino, Graz
Sa. 12. November 2022 19 Uhr im Leokino, Innsbruck
Mi. 16. November 2022 20:15 Uhr im Filmhaus, Nürnberg
Fr. 18. November 2022 18 Uhr im Cinema, Münster
Sa. 19. November 2022 20:30 Uhr im fsk am Oranienplatz, Berlin
Sa. 10. Dezember 2022 18 Uhr im Filmmuseum, München
Mi. 14. Dezember 2022 19 Uhr im Filmmuseum, Wien

Für LE STUDIO bildet die Gründung eines Verlags gleichsam die logische Fortführung der Kino- und Theaterkuratierung. So wie wir mit unserem Publikum, dieser kommenden Gemeinschaft, wachsen, tauschen sich auch die Bücher und Werke aus. Es geht darum, Texte, Erzählungen, Stücke, Drehbücher, Aufsätze zu verlegen, die in einer ästhetischen Ordnung zu verorten sind, wo das Fleisch der Worte und der Geschmack der Bilder neue Welten erschließen. Diese Publikation entstand anlässlich einer Retrospektive zu Hong Sangsoo im Österreichische Filmmuseum (02. 11.2022– 12.01.2023) sowie der Kinostart von DIE SCHRIFTSTELLERIN, IHR FILM UND EIN GLÜCKLICHER ZUFALL in Österreich und Deutschland.